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Wenn man Schwedischlernende fragt, was am allerschwierigsten an der schwedischen Sprache ist, lautet die Antwort fast immer „Die Aussprache“.
Wir Schweden denken oft, dass unsere viele Konsonantenverbindungen diese Schwierigkeiten verursachen. Dies ist aber nicht der Fall, da die falsche Aussprache von Konsonanten selten zu Missverständnissen führt. Die falsche Aussprache eines Vokals dagegen – entweder die falsche Länge oder die falsche Klangfarbe, oder beides – ergibt oft ein ganz anderes Wort und ist folglich eine häufige Quelle für Missverständnisse.
Dazu kommt noch die Tatsache, dass Schwedisch eine Tonsprache ist (eine von nur zwei in ganz Europa, die zweite ist Norwegisch). Das bedeutet, dass viele Wörter mit zwei unterschiedlichen Tönen ausgesprochen werden können und damit verschiedene Bedeutungen haben.
Im Januar 2005 hat ein „Neuschwede“ (so werden Einwanderer in Schweden genannt) in der Tageszeitung Dagens Nyheter einen Bericht über seine Schwierigkeiten mit der schwedischen Aussprache geschrieben. Der Artikel heißt „Stappla eller stapla?“ („Stolpern oder stapeln?“) und ist sehr humorvoll und lustig. Wer kann, sollte ihn unbedingt auf Schwedisch lesen:
"Stappla eller stapla?" in Dagens Nyheter
Bei einer Übersetzung von so einem Text gehen selbstverständlich viele Wortspiele verloren, sowie Anspielungen auf schwedische Sitten, und die Stimmung vom Original kann deshalb nie vollständig wiedergegeben werden. Trotzdem veröffentliche ich hier eine deutsche Version, damit auch alle, die noch nicht so gut Schwedisch können, den Text genießen können. Einer meiner ehemaligen Kursteilnehmer in Nürnberg, Peter Ott, hat ihn freundlicherweise übersetzt. Der Verfasser des Originaltextes ist damit einverstanden.
Viel Spaß!
Wü gett’s Dirr?“ (oder wörtlich: Hurerei knurr Schlamm?) Die Länge und der richtige Druck bestimmen das Schicksal der Neuschweden.
Wenige, wenn überhaupt jemand, haben in der Integrationsdebatte über die Rolle der Länge sprechen wollen. Natürlich ist das nicht alles, aber in Kombination mit dem richtigen Druck und der Hartheit ist es bestimmend dafür, wie es für uns Neuschweden in Schweden läuft.
Die meisten von uns sind nämlich aufgewachsen mit normal-harten Vokalen von normaler Länge und was man Einfachdruck nennen könnte. Darauf nimmt man in den ersten Schwedischkursen keine Rücksicht. Dort glauben die Lehrer immer noch, dass sie uns imponieren können mit „sieben seekranken Seemännern“ und deren Beschäftigung mit gleichviel Krankenschwestern, während die wirkliche Schwierigkeit für uns es ist zu wissen, ob wir noch eine Ehefrau (maka) oder noch ein belegtes Brötchen (macka) nehmen dürfen, wovon eines strafbar ist aber welches? Es sind nicht die „sch“-Laute sondern der Vokalschock, der viele unverheilte Wunden bis spät im Integrationsalter zurücklässt.
Mein eigener Kampf mit den schwedischen Vokalen war lang und beschwerlich. Zu Beginn verstand niemand, was ich sagte. Mein Eröffnungssatz (siehe oben) wurde mit hochgezogenen Augenbrauen und darauffolgender Stille beantwortet.
Nach einem Jahr oder so wurde meine ungewöhnliche Aussprache damit erklärt, dass ich wohl aus Gotland komme, was ich als Teilsieg auffasste. Als man mich schließlich südlich von Südstockholm einordnete, fühlte ich mich als ein vollwertiges Mitglied der reichsschwedischen Vokalgemeinschaft.
Dass ich auch danach noch lange langsam redete, wurde als Nachdenklichkeit wahrgenommen. Das war zum Teil berechtigt, aber es handelte sich nicht um tiefe intellektuelle Reflektionen. Es handelte sich um ängstliche Überlegungen über die Worte, die ich im Begriff war auszusprechen – kommt ein oder mehrere Konsonanten im unmittelbaren Anschluss an den vorhergehenden Vokal? Wenn ja, gehört das Wort nicht durch Zufall zu der unberechenbaren Kategorie der Ausnahmen? Denn es ist von entscheidender Bedeutung, ob man nach einem heißen Sommerfest seiner neuen weiblichen Bekannten vorschlägt, nackt zu baden (bada naken) oder den Nacken zu befeuchten (badda nacken), eine entscheidende Bedeutung aus sowohl Reinlichkeitsaspekten als auch für den Fortgang der Bekanntschaft.
Ihr Altschweden denkt vielleicht, dass dies nicht der Rede wert ist, weil ihr die Kunst zwischen langen und kurzen, weichen und harten Vokalen zu wechseln ungefähr so könnt, wie ein anderer Konsonanten stapelt. Ihr könnt wählen ob ihr Lust habt (huga) Holz zu hacken (hugga), dies zu stapeln (stapla) und davonzustolpern (stappla), oder lieber euch hinzulegen (lägga sig) und Schläfchen zu halten (slagga ett slag). Und ihr könnt euch darauf verlassen (slå er i backen) dass ihr euch nicht gleichzeitig und unfreiwillig am Hintern stoßt (slå er i baken). Ihr könnt euch auch anscheinend ohne Anstrengung zuerst bücken (buga) und dann Jitterbug tanzen (bugga).
Viele Neuschweden, die mit Vokalen von europäischer Standardlänge aufgewachsen sind, wählen dagegen auf vokalverdächtige Aktivitäten zu verzichten. Ich kenne mehrere, die nur aus sprachtraumatischen Gründen sich weigern, nach dem Sprichwort „andere Länder, anderes Sperma“ zu richten (säden-seden/Sperma-Sitten), kein Ficken rauchen (pippa-pipa/Ficken-Pfeife) und (zur großen Erleichterung der Geburtstagskinder) an den Hurenrufen nicht teilnehmen (horarop-hurrarop/Hurenruf-Hurraruf). Aus dem selben Grund bevorzugen viele Geldscheine statt Minze (mint-mynt/Minze-Münze). Und wenn sie manchmal, vom lächelnden Wohlwollen der Altschweden ermutigt, viel zu schnell versuchen, deren Vokale zuzugrafen (zuzugreifen), wird dies meistens zu einer Schlacke (einem Schlag) in die Luft. Deswegen ist es klug von den Neuschweden sich den altschwedischen Vokalen mit äußerster Vorsichtigkeit und einem nach dem anderen zu nähern, damit auch wir Freunde bekommen, einen Herzensfreund und wer weiß – vielleicht sogar einen Job.
Die Probleme mit der Aussprachenintegration hören aber mit der Frage der Vokallänge nicht auf. Auch die Betonung ist wichtig. Man kann zwar lange die Augen für die Tatsache verschließen, dass man nichts mit verbundenen (f´örbundna) Augen sehen kann, aber nicht wenn sie zufällig einen Bund schließen (förbúndna) und dann fragt man sich, an welchen Bund (förbund) sich die Augen angeschlossen haben. Auf die selbe Weise verhält es sich mit dem Pelz, der von den Motten (málen) aufgefressen wurde, und zerstäubt, als ob er gemahlt (málèn) wurde. Oder der fröhliche Weihnachtsmann (tómtèn), der auf dem Grundstück (tómten) platziert wurde, weil Gartenskulpturen so populär sind. Ganz zu schweigen vom heiligen Geist (ándèn), der zwar wie die Ente (ánden) angeblich fliegen kann aber die Schwanzführung vom letztgenannten nicht hat. Aus Rücksicht auf empfindliche Personen samt Platzgründen gehe ich nicht auf den Hintern/die Einzige (ända/enda) ein, der/die mir gehört.
Es gibt viel was man tun kann, um Vokalwohlbefinden im Land zu erschaffen.
Im Abwarten auf einen Handlungsplan sollte man auf jeden Fall schon jetzt Warnschilder an allen Grenzübergängen aufstellen: „Sie treten jetzt in eine neue Vokalzone ein, in das Reich der wechselweisen langen Vokale.“
Die Bedeutung der Frage geht vielleicht daraus hervor, dass ich nach 35 Jahren in Schweden immer noch am Vokaltraumasyndrom leide, welches mich hindert, aufs Ganze ins Altschwedischsein zu gehen.
Denn immer noch wache ich manchmal mit kaltem Schweiß auf und frage mich, ob er lang genug ist.
An der richtigen Stelle.
Ob er taugt.
Jarema Bielawski, Steinkonservator
© Madeleine Midenstrand 2007–2024 — Aktualisiert am 21.10.2019
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